Predigt beim Generalkonvent 2012

Predigt beim Generalkonvent 2012, 11. Juli 2012

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Schwestern und Brüder,

schön, dass wir hier versammelt sind im Kirchenschiff der Pauluskirche. Auch von mir ein herzliches Willkommen in der Stadt am Meer zu unserer heutigen Reise auf für uns ungewohnte See. Von Meeres- und Polarforschung werden wir hören. Ich freue mich sehr über die Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut und bin gespannt auf die Perspektiven, die Sie uns eröffnen. Mag sein, dass manche tiefe See dabei ist, in die mit Verständnis hinabzusehen uns als Theologen schwer wird. Immer noch besser wäre das, als früh auf einer Sandbank aufzusitzen mit zu seichten Urteilen.

Nach Wassermusik, Wassergeräuschen und Wassertexten nun also eine Wasserpredigt – hoffentlich keine wässrige. - Wer Abstand nimmt von unserer Erde, wer das Weltall im Rücken hat und auf unsren Planten schaut, der sieht vor allem Wasser ] Unsere Erde ist der Meeresstern im Sternenmeer des Sonnensystems, der blaue Planet. Beinahe drei Viertel unserer Erde sind von Ozeanen, Meeren und Seen bedeckt. Wer das sehen kann, so liest man immer wieder, ist tief ergriffen von diesem wunderbaren Bild. Und dass es überhaupt Leben auf unserem Planeten gibt, verdankt sich der Tatsache, dass es hier Wasser in flüssiger Form gibt. Auf unserem Nachbarplaneten Venus herrscht eine Temperatur von 453 Grad plus. Und auf der anderen Seite, auf dem Mars, sind es schon Minus 43 Grad. Auf beiden Planeten gibt es kein flüssiges Wasser und also kein Leben.

Unsere europäische Kultur – sie hat sich entwickelt über das Wasser, als eine Meereskultur. Jerusalem, Athen und Rom haben sie geprägt. Durch den Austausch über das Mittelmeer kam sie zustande: Jüdische Religion und Ethik, griechische Philosophie und Kunst, Römisches Recht und gestaltete Ordnung - verbunden über das Meer. So entsteht die Kultur Europas.

Unsere christliche Kirche – auch sie breitete sich aus vor allem über die Wasserwege des Mittelmeers. Nicht ohne Mühen wie wir wissen, Paulus‘ Fahrt von Jerusalem über Zypern Richtung Rom endete mit einem Schiffbruch. Nur gut, dass Paulus den Brief an die Römer schon vorher mit dem Postboot geschickt hatte, sonst wäre das Evangelium nicht im Westen angekommen. Und auch zu uns kam die Botschaft nicht über die Berge, sondern übers Meer, von Irland, Schottland und England aus. Kein Zufall, dass in vielen unserer Kirchen ein Schiff hängt.

Aber vielleicht ist das äußerlich. Eine Wasser-Religion ist unser Glaube auch in der Sache von Anfang an.

Der elementare Anfang der Geschichte des jüdischen Volkes und des Glaubens Israel: Eine Wasser-Geschichte, der Durchzug durchs Schilfmeer. Das Meer teilt sich für Israel. Gott erweist seine befreiende Geschichtsmacht als Herr über das Wasser.

Wasser ist zugleich lebensnotwendig, es ist Symbol für Leben. In einer heißen Wüstenregion kann das anders nicht wahrgenommen werden. Vom guten Hirten etwa bezeugt der Beter im 23. Psalm: Er führet mich zum frischen Wasser.

Und im Neuen Testament hören wir die wunderbare Geschichte von Jesus und der Frau am Brunnen: Wasser des Lebens vermag Jesus zu geben, etwas, das den Durst nach Leben stillen kann. Eine Wassergeschichte, die ansetzt am Wasser als unverzichtbarem Elixier des Lebens. Ohne Wasser kein Leben.

Lange kann man fortfahren, Material zum Wasser zu sammeln. Bevor ich dabei abtreibe, mich auf dem Ozean der Gedanken verirre, wähle ich eine Fahrrinne und orientiere mich an drei Tonnen, an drei Motiven.

1. Die Bedrohung des Wassers

Den elementaren Anfang von allem stellt sich die Priesterschrift vor als Trennung von Wasser und Feste. Erst so wird Leben möglich, indem das Wasser seinen abgegrenzten Ort bekommt, indem es eingedämmt wird. Wir haben die eindrückliche Kollage gehört. Wasser ist gut und lebensnotwendig, aber nur solange es domestiziert und abgegrenzt ist.

Viele Menschen entlang der Elbe haben jetzt beim Gedenken an die Flutkatastrophe von 1962 ihre Geschichten erzählt. Sie haben erzählt von Deichbrüchen, von Überschwemmungen, zerstörten Häusern, Rettungsaktionen, vermissten Menschen. Beinahe wie Geschichten aus dem Krieg klang das, tief hat es sich in die Seelen eingegraben. Wasser kann als zerstörerische und lebensgefährdende Bedrohung erlebt werden.

Auch die Bibel weiß darum: Psalm 42 (V.7+8) etwa: Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir, Deine Fluten rauschen daher; alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich. Die bedrohliche Macht des Wassers wird zur Metapher, zum Bild für Lebenserfahrungen: Die Wogen gehen über uns hinweg. Das Wasser steht bis zum Hals. Man fragt sich: Wie lange halten unsere Dämme stand? Auch unsere Dämme als Pastorinnen und Pastoren. Nehmen wir nicht auch so etwas wie einen Klimawandel wahr? Gesellschaftlich, das soziale Klima wird rauher. Und kirchlich: Verliert die Kirche an Relevanz? Manches spricht dafür. Erleben wir, wie immer mehr die Wellen an unseren Deichen fressen, wie der Wasserspiegel der Belastungen steigt?

Und dann ist da die Bedrohung des Klimawandels durch die Erderwärmung. Wir werden heute darüber noch Sachkundiges hören. Aber der Ernst der von Menschen mit heraufgeführten Lage ist offenkundig: Das Klima erwärmt sich, der Meeresspiegel steigt, große Gefahren bringt das schon heute und künftig, vor allem für die Länder des Südens. Bei ökumenischen Begegnungen weisen unsere Schwestern und Brüder uns eindringlich darauf hin. Unsere Kirche hat sich eindeutig positioniert, aber die Problematik wird uns weiter herausfordern müssen. Wir sind als Christen gerufen und befähigt, einzutreten für den Klimaschutz. Und es ist ja vieles möglich, Gott sei Dank. In den Workshops heute werden wir vieles hören von konkreten Möglichkeiten.

2. Die Verheißung des Wassers

Die Gefährdungsgeschichte schlechthin ist die Sintflutgeschichte. Sie stellt mit tiefer Symbolkraft die Gefährdung durch das losgelassene Wasser vor Augen. Wo die Mächte des Wassers losgelassen sind, da steht potentiell alles auf dem Spiel, da droht sozusagen die Rücknahme der Schöpfung.

Die Sintflutgeschichte aber endet mit einem neuen Bund und einer neuen Zusage: Gottes Wille ist nicht Vernichtung. Es soll keine neue Sintflut geben. Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen. Ich nicht, sagt Gott. Mein Wille ist das nicht. Mein Wille ist für alle Zeiten auf den Rhythmus des Lebens gerichtet: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (Gen 8, 22)

Was machen wir mit dieser Zusage angesichts der Gefahr? Wir Menschen können mit unseren technischen Möglichkeiten in einem gefährlichen Ausmaß Schaden bewirken und tun es auch. Dagegen steht die große Zusage: Gott will nicht zerstören, Gott will bewahren. Aus dieser Spannung von Herausforderung und Verheißung, von Gesetz und Evangelium werden wir nicht herauskommen. Aber wie gut, dass Gottes Verheißung aufgerichtet ist. Wie gut, dass unsere Welt nicht einfach sich selbst überlassen ist, sondern wir sie als Christen in Gottes Hand glauben. Wie gut, dass all unser Handeln umgriffen ist von Gottes Zusage die immer noch einmal größer ist als alles, was wir tun können.

Gottes Zusage, sie verbindet sich in besonderer Weise mit dem Wasser in der Taufe. Taufgeschichten sind Wassergeschichten, wie die Geschichte vom Kämmerer, die am Sonntag Predigttext ist: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? Und beide stiegen in das Wasser hinab. Christlicher Glaube kommt aus dem Wasser. Vor einem Jahr hatten wir hier ein großes Tauffest am Strand der Weser – das war ein eindrückliches und ein wenig auch urchristliches Ereignis.

In der Taufe verbindet sich ja beides miteinander: Die große Zusage Gottes, der das Leben will. Das Wasser steht für das Leben, für die Befreiung von zerstörenden Mächten. Die Taufe verbindet mit Christus, der ein neues Leben begründet, das in keinem Wasser mehr untergehen wird.

Und auch das Wasser als reinigend, als tötend gar. Mit Christus seid ihr gestorben in der Taufe, sagt Paulus Römer 6 – die Epistel vom kommenden Sonntag. Zu unserer volkskirchlichen Realität steht das in Spannung, keine Frage. Aber für Paulus jedenfalls bedeutet die Taufe eine Lebenswende, sie zielt auf ein Leben im Glauben und in der Nachfolge Jesu. Aus der Taufe folgt ein verantwortliches Leben, aus ihr entsteht dann auch Verantwortung für Gottes Schöpfung und konkret für den Klimaschutz.  

In der Freiheit der Kinder Gottes müssen wir die Augen nicht verschließen vor der nüchternen Analyse der Realität. Nötig ist ein Klimawandel. Wir dürfen nicht weiter leben auf Kosten anderer, weder finanziell noch ökologisch. Unsere Welt braucht ein Klima, in dem nicht auf Pump gelebt wird, sondern aus Gottes Güte: dankbar und verantwortungsvoll. Wir brauchen eine „Ethik des Genug“. Ein solcher Klimawandel, der allerdings täte uns gut.

Ob es gelingen kann, gegründet in der Taufe in diesem Engagement entschlossen zu sein, aber nicht verkniffen, nicht verkrampft? In der biblischen Tauf-Wassergeschichte jedenfalls heißt:  Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen… zog der Kämmerer seine Straße fröhlich.

Und damit ein Letztes:  

3. Das Lob des Wassers

Ich habe noch nicht genug hingehört auf das Wasser. Das Wasser spricht nicht nur von Tod und Leben, von Verpflichtung und Verheißung. Das Wasser stimmt das Lob Gottes an. In Psalm 98 etwa (V. 5-8): Lobet den HERRN mit Harfen und mit Saitenspiel! Das Meer brause und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Die Ströme sollen frohlocken.

Geradezu personifiziert ist die Schöpfung hier. Meereswogen überschlagen sich zum Applaus für den Schöpfer. Die Ströme frohlocken. Die Schöpfung ist nicht einfach Materie, nicht ausgebreitete Masse, res extensa. Das zu meinen, hat viel Elend gebracht. Die Schöpfung ist Anrede Gottes, in ihr klingt und schwingt das Lob Gottes. Jede und jeder von uns kennt Momente, in denen man von diesem inneren Gesang der Schöpfung gleichsam überwältigt wird. Ich wünsche ihnen und mir solche Naturerfahrungen in der kommenden Urlaubszeit: Die Ströme sollen frohlocken, und alle Berge seien fröhlich. Ich glaube, es ist wichtig, auf dieses Lob sorgfältig zu lauschen. Je mehr wir leben im Einklang mit unserem Schöpfer, indem wir sein Lob hören und selbst anstimmen, desto sorgsamer werden wir mit der uns anvertrauten Schöpfung umgehen. Spitzen wir die Ohren. Je mehr wir auf das Lob der Schöpfung hören, desto mehr werden wir tun, was immer wir können, um behutsam mit ihr umzugehen. Lassen wir das Wasser sein Lied singen, das Lied des Lobes für unseren  Gott.

Amen.



[1]           Inspirationen verdanke ich: Prof. Dr. Dr. Hermann Timm, Wellen-Spiel, Gottesdienst und Predigt in der Evangelischen Universitätskirche St. Markus in München am 15. Juli 2001, http://www.evtheol.uni-muenchen.de/aktuelles/unigottesdienste/archiv/sose01/ss2001_timm.pdf