Dialogpredigt zur Einweihung des Mönchsweges

9. Juni 2014 - Klosterpark Harsefeld - Predigt im Dialog mit Renke Brahms, Schriftführer der Bremisch Evangelischen Kirche - Hebräer 13,14

Hans Christian Brandy:
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,
nun ist es endlich geschafft! Die Sternradfahrer sind wohlbehalten eingetroffen. Alle haben hoffentlich einen Platz zum Sitzen gefunden. Vor allem ist es aber nun geschafft, dass nach vielen Jahren des Planens, des Anträgestellen, des Geldbeschaffens und nicht zuletzt der Begeisterung für ein ganz einmaliges Projekt wir nun heute den „Mönchsweg“ eröffnen. Schön, dass wir das auch mit einem gemeinsamen Gottesdienst tun am Pfingstfest, an dem Fest, an dem Christen Gottes begeisternden und lebendig machenden Geist feiern, Gottes Geist, der Menschen verbindet und der sie in Bewegung setzt. Möge dieser Weg immer wieder viele begeisternde und viele Geisterfahrungen möglich machen!

Und weil nicht nur vier Landkreise, dreißig Kommunen und Kirchengemeinden, zwei Bundesländer, sondern auch zwei evangelische Landeskirchen und unsere katholische Schwesterkirche an der Realisierung dieses Radpilgerweges beteiligt sind, gibt es heute auch eine Dialog-Predigt.

Im Gespräch waren unzählige Menschen in der Vorbereitung dieses Tages, im Dialog vieler Akteure aus Politik, Touristik und Kirche ist dieses Projekt umgesetzt worden, im Gespräch zwischen Renke Brahms, Schriftführer der Bremisch Evangelischen Kirche und mir, Hans Christian Brandy, Landessuperintendent im Sprengel Stade, wollen wir nun dem Nachgehen, was einen Rad Pilger Weg lebendig und spannend machen könnte.

Renke Brahms:
1. Rad
Vom Fahrradfahren steht in der Bibel nichts. Jesus ist zwar auf einem Esel in die Stadt Jerusalem geritten, wie die Bibel erzählt – aber einen Drahtesel gab es noch nicht. Fahrräder in unserem Sinn gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert.

Die gute Nachricht aber ist: „Gott fährt Fahrrad“. So jedenfalls schreibt es der bekannte niederländische Schriftsteller Maarten‘t Haart. Es geht in seinem Roman „Gott fährt Fahrrad“ um eine anrührende Annäherung eines Sohns an seinen Vater. Dabei spielt das Fahrrad eine wichtige Rolle. So sinniert der Sohn schon auf den ersten Seiten des Buchs: „Angenommen, es gäbe doch einen Himmel. Gott, würde ich dann fragen, wenn ich dorthin käme, darf ich wieder und bis in alle Ewigkeit vorn bei meinem Vater auf dem Fahrrad sitzen und auf dem Deich fahren?“ Der Himmel als Ort des gemeinsamen Fahrradfahrens – eine schöne Vorstellung.

An einer anderen Stelle fragt sich der Junge schon eine Weile, wo Gott ist. Beim Anblick eines Liebespaares rätselt er, ob ein Radfahrer in der Ferne vielleicht Gott sei. Aber auch der kleine Junge merkt dann, dass der Radler nicht Gott war, u.a. weil das Fahrrad ziemlich rostig ist. Man soll das Radfahren auch nicht zu sehr idealisieren – der Rost gehört auch dazu.

Also, ehrlicherweise müssen wir offen lassen, ob Gott Fahrrad fährt. Sicher aber scheint mir zu sein, dass das Fahrradfahren eine besonders gute Gabe Gottes ist.

Ich habe das große Glück, fast jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit in Bremen fahren zu können. Es ist kein langer Weg. Aber wenn ich morgens über die Weser fahren kann und einmal nach links und einmal nach rechts gucke, atme ich einmal tief durch, freue mich an der Sicht und gewinne Kraft für den Tag. Und wenn ich abends nachhause fahre, trete ich mal stark in die Pedale, um Dampf abzulassen – und mal fahre ich ruhig und langsam und gelassen durch die Stadt und gewinne Abstand zum Tagesgeschäft.

Was verbindest Du mit dem Fahrradfahren, Hans Christian?

Hans Christian Brandy:
Ich bin ein leidenschaftlicher Radfahrer und habe auch eine Reihe verschiedener Räder für alle Lebenslagen. Und ich verbinde es auch mit persönlichen Erinnerungen. Meinen heutigen Sprengel Stade habe ich zum ersten Mal intensiver kennengelernt bei einer Fahrradtour. Mit meinem Sohn fuhr ich 2004 von Bremen entlang Weser, Nordsee und Elbe bis nach Hamburg. Das ist wahrscheinlich die schönste Weise, den Elbe-Weser-Raum zu erkunden. Integriert haben wir – ich war damals Kirchenmusikdezernent der Landeskirche – die Wiedereinweihung der bedeutenden Orgel in Altenbruch bei Cuxhaven. Die nötigen Sachen hatte ich irgendwie in die Satteltaschen bekommen. Ich erinnere mich nur, dass die Leute auf dem Campingplatz in Altenbruch ziemlich überrascht schauten, als am Sonntagmorgen aus dem kleinen Fahrradfahrerzelt ein Mann im schwarzen Anzug herauskletterte.
Was meinst Du, ist das Besondere am Fahrradfahren?

Renke Brahms:
Beim Radfahren hat man, finde ich, genau das richtige Tempo. Man ist so zügig, dass man richtig vorankommt und etwas sieht von der wunderschönen Vielfalt der Landschaften. Und man ist so langsam, dass die Seele Zeit hat, durchzuatmen und alles in Ruhe aufzunehmen. Beim Radwandern erlebt man die Schönheit der Erde und der Natur, die Weite des Himmels, die Kraft des Windes (meist des Gegenwindes). Und man spürt den eigenen Körper, spürt die eigene Kraft und die eigenen Grenzen. Man ist beim Fahrradfahren in besonderer Weise im Gleichgewicht des Lebens, mit der Natur, dem eigenen Körper, den Elementen.

Hans Christian Brandy:
2. Pilgern
Heute eröffnen wir für unseren Bereich ja nun den ersten Fahrrad-Pilger-Weg. Pilgern ist ja in, ist cool, ist hip. Sogar der SPIEGEL hat das entdeckt. „Warum Pilgern nicht peinlich ist“, titelte das Nachrichten-Magazin vor einigen Monaten. „Slow Travelling“ heißt dies in der Sprache der Touristiker. Für viele Menschen trifft das Pilgern offenbar eine besondere Sehnsucht, nach Sinn und nach spirituellen Erfahrungen, die die Event- und Spaßgesellschaft nicht stillt.

Oft pilgert man ja zu Fuß. Das Radfahren ist aber vielleicht eine Form des Pilgerns, die dem heutigen modernen Menschen besonders entspricht. Entschleunigung gegenüber dem Auto, aber doch moderne Mobilität, die uns ja wichtig ist. Man muss sich nicht festlegen, man kann flexibel bleiben, viele Optionen offen halten. Man kann unkompliziert anhalten oder weiterfahren. Man kann mal allein fahren, mal vorn, mal hinten, mal mit anderen, ohne sich zu nahe kommen. Dynamik und Offenheit beim Radfahren, das entspricht modernem Lebensgefühl.

Pilgern ist eine Art des Betens mit den Füßen. Es ist ein ganz natürliches Geschehen: Wir bewegen uns in einem uns angemessenen Tempo. Gerade, wo um uns herum im Berufsalltag, im Familienleben, in der Gesellschaft sich vieles immer mehr verdichtet, Zeit zu einem immer kostbareren Gut wird, ist Entschleu-nigung, Verlangsamung, ein wahrer Luxus. Sich auf Pilgerschaft zu begeben, heißt auch, sich auf eine freiwillige Beschränkung einzulassen. Weniger ist mehr – das gilt nicht nur für Satteltaschen! Beim Pilgern zählt die Freiheit des Augenblicks.

Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die zum „Mönchsweg“ passt:
Ein Tourist machte Station in einem Kloster. Er wurde herzlich aufgenommen und freundlich empfangen. Einer der Mönche führte ihn durch das Kloster und zeigte ihm zum Schluss die Mönchszellen. Eine davon sollte dem Gast als Schlafquartier dienen. Alle waren sie spartanisch eingerichtet: Ein Bett, ein Stuhl, mehr nicht. Der Tourist sollte nun wählen, in welcher er die Nacht verbringen wollte.
Er betrachtete die Zellen und fragte dann ratlos: „Ja, und wo sind alle Ihre Möbel?“ „Wo sind denn Ihre?“ entgegnete der Mönch. Verwirrt antwortete der Gast: „Ich bin ja nur auf der Durchreise.“ Da lächelte der Mönch und antwortete: „Wir auch.“

Das erinnert mich an ein Bibelwort aus dem Hebräerbrief. Dort heißt es im 13. Kapitel, Vers 14: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Als Christenmenschen sind wir unser Leben lang auf dem Weg. Daran kann uns das Pilgern auch erinnern, das kann man beim Pilgern einüben. Denn Radwanderungen sind immer auch Wegerfahrungen. Mal mit Rückenwind, mal mit Gegenwind, mal ganz leicht, mal sehr mühsam.
Stichwort „Weg“: Damit bist noch einmal Du dran, Renke.

Renke Brahms:
3. Weg
Die Bibel ist voller Weg-Geschichten: Gott führt sein Volk einen langen Weg durch die Wüste, geht ihnen voraus, am Tag in einer Wolkensäule, nachts in einer Feuersäule. Jesus, der Wanderprediger, geht mit seinen Jüngern lange Wege. Recht betrachtet spielt eigentlich das ganze Evangelium auf dem Weg. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Das Leben von uns Christenmenschen ist ein Weg, ein Wandern durch diese Welt bis zur Ewigkeit. Dafür sind alle irdischen Wege Abbilder und vielleicht auch Einübungen. Das können auch Radwege sein.

Deshalb ist es gut, wenn man auf seinen Wegen immer wieder einmal anhält und der Seele Zeit zur Besinnung gibt. Und deshalb ist es gut, wenn am Wege Kirche sind, und wenn sie offen sind. Dazu möchten wir ja einladen auf dem „Mönchsweg“: In die offenen Kirchen einzukehren, Stille zu erfahren, sich an der Schönheit zu erfreuen, vielleicht spontan bei einer Orgelprobe zuzuhören oder auf gastfreundliche Kirchenwächter zu treffen, die stolz von „ihrer“ Kirche erzählen.

Gastfreundschaft ist – nebenbei bemerkt - schon immer eine Grundhaltung der Christinnen und Christen gewesen. In Klöstern wurde sie besonders gelebt. Du kennst doch sicherlich die wunderbare Ordensregel des Benedikts: „Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus.“ In jedem Gast Christus sehen, auch in jedem Radfahrenden – was für eine Einstellung.

Hans Christian Brandy:
Ich habe noch einige Einträge aus Gästebüchern, die in geöffneten Kirchen ausliegen und sicherlich auch ein Stück Gastfreundschaft sind, mitgebracht.

Mancher schreibt ein Gebet für einen erkrankten Angehörigen. Jemand schreibt: „Dass ich hier verweilen darf, ohne für meinen Platz bezahlen zu müssen, dass ich sitzen darf, ohne etwas konsumieren zu müssen, das ich da-sein darf, ohne etwas tun oder gestalten oder lernen zu müssen, einfach nur da-sein.“ Ein anderer Eintrag lautet: „Ich bin mit Sorgen gekommen und in Frieden gegangen.“

Wie segensreich und schön, wenn so etwas sich in der Stille unserer Kirche ereignet!

Renke Brahms:
Unsere Kirchen bieten eben auch die Gastfreundschaft zur Besinnung, zum Gebet. Sie sind Orte, an dem die Räder still stehen können und die Seele zur Ruhe kommt. Sie sind Rastplätze der Seele. Sei es nun die Kirche in Hamelwörden, wenn man nach Überquerung der Elbe hier in diese Region kommt, sei es die kleine Dorfkirche in Bliedersdorf auf der Hälfte der Strecke, sei es die kleine Kirche in Borgfeld, schon in der Stadt, aber noch dörflich umgeben vom Friedhof oder die wunderschöne Kirche Unser Lieben Frauen oder der imposante Bremer Dom am Ende des Mönchsweges. Hier können die Räder still stehen, in einem doppelten Sinn.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Wir sind auf dem Weg, sei es nun heute ganz praktisch auf dem Mönchsweg, sei es symbolisch gesprochen mit Blick auf unser Leben.
Mit einem Wort eines ehemaligen Mönches soll diese Predigt enden. Martin Luther, lange Jahre seines Lebens Augustiner-Mönch, hat zwar nicht allzu viel vom Pilgern gehalten, aber trotzdem wunderbare Worte gefunden für das „Auf dem Weg sein“:

„Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung.
Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es reinigt sich aber alles.“

Wir haben hier keine bleibende Stadt, weil wir unterwegs sind. Gäste auf Erden, Pilgern gleich.

Wenn der Mönchsweg allen, die auf ihm reisen, solche Momente der inneren Einkehr, der Erfahrungen der Schönheit von Gottes Schöpfung und dem Erleben von Gastfreundschaft ermöglicht, dann wird er ein Rad Pilger Weg sein, auf dem Menschen gerne unterwegs sind. Das schenke Gott.
Amen.