Andacht Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit

Pauluskirche Buxtehude, 27.9.2015

Liebe Pilgergemeinde,

„Wir müssen wissenschaftlich fundierte, aber ethisch motivierte Entscheidungen treffen.“ Das war die Quintessenz eines Vortrages auf dem Sprengelkonvent der ca. 250 Pastorinnen und Pastoren unseres Sprengels von Frau Prof. Dr. Karin Lochte. Frau Lochte ist die Direktorin des Alfred-Wegener Institutes in Bremerhaven für Meeres- und Polarforschung. Wir hatten unseren Konvent gemeinsam mit dem Institut durchgeführt. Frau Prof. Lochte und weitere Wissenschaftler haben uns eindrucksvoll vorgeführt, wie das Eis an den Polen schmilzt, wie der Meeresspiegel ansteigt, welche weitgehende Folgen das hat.

Es ist eben ohne jede Frage, dass der größte Anteil der Erderwärmung menschengemacht ist, die Voten etwa des Weltklimarates oder des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung zu Globalen Umweltveränderungen sind eindeutig. Trotzdem passiert viel zu wenig. Darum: „Wir müssen wissenschaftlich fundierte, aber ethisch motivierte Entscheidungen treffen.“

Wer Ohren und Augen offen hält, kann die Zeichen ja gar nicht übersehen. In diesem Monat etwa waren wir mit unserer jährlichen Begegnung von Kirche und Landwirtschaft hier in der Nachbarschaft im Alten Land, in Jork eingeladen in die Obstbauversuchsanstalt. Im Freigelände zeigten uns die Fachleute ihre Sortenversuche – und dabei auch einige Sorten, die man vor zehn Jahren in Norddeutschland noch nicht anbauen konnte. Jetzt kann man es. Der Klimawandel macht es „möglich“. Wie gesagt, wer Augen und Ohren nicht verschließt, kann die Zeichen gar nicht übersehen.

Wenn man so etwas hört, ist man erschrocken. Aber ich erlebe bei mir und bei anderen, dass das alles im Alltag schnell wieder wegrutscht unter den vielen scheinbar näherliegenden Aufgaben, und davon haben wir alle genug. Dabei ist dann noch gar nicht bedacht, dass kommerzielle Interessen dem Umweltschutz allzu oft übergeordnet werden, bis hin zu dem schier unfassbaren Vorgang, dass feinste deutsche Ingenieurskunst dafür eingesetzt wird, zu hohe Schadstoffemissionen in Messungen zu verstecken.

In alldem ist jeder und jede gefragt in seinem persönlichen Handeln. Da beginnt ja jede Ethik. Wir dürfen uns nicht erlauben, die Fragen des Klimaschutzes zu verdrängen. Wir sind zugleich als Kirchen gefragt in unserem konkreten Handeln.

Ich freue mich, dass unser Sprengel ein Bildungszentrum hat, das als ökologisches Referenzgebäude gelten kann. Unsere Landeskirche hat im Frühjahr ein Klimaschutzkonzept verabschiedet. Aber zweifellos ist noch eine große Menge Arbeit vor uns.

Vor allem aber ist entschlossenes, international abgestimmtes politisches Handeln gefragt. Das ist ethisch geboten, gerade weil es ein Unding, weil es Sünde ist, wenn die wohlhabenden Länder durch Ihre CO2-Produktion das Weltklima schädigen und das vor allem zu Lasten der Menschen in den armen Ländern geht.

Ich habe im Frühsommer von diesem Pilgerweg zum ersten Mal gehört auf einer Versammlung des Lutherischen Weltbundes in Trondheim, dort wurde der Klimaschutz von den Jugenddelegierten energisch eingebracht und eben zu diesem Pilgerweg aufgerufen. Immer wieder hören wir als Kirchen von Geschwistern aus den Ländern des Südens, was der Klimawandel für sie bedeutet. Das ruft uns in die Pflicht. Ein schonender Umgang mit der Schöpfung ist eine ethische Aufgabe, und Gerechtigkeit für alle Menschen ist es allemal.

Öffentliche Signale, öffentlicher Druck sind nötig. Deshalb finde ich diesen ökumenischen und internationalen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit außerordentlich wichtig und richtig. Sie drängen auf konkrete, hinreichende und verbindliche Ergebnisse beim Gipfel in Paris. Ich reihe mich da gern ein.

Einen Gedankenschritt weiter gehe ich. Dieser Pilgerweg ist ein wichtiges öffentliches Signal und das soll er sein. Er ist zugleich ein spiritueller Weg. Der Pilgerweg hat ein demonstratives Element, zu Recht, aber er ist auch etwas anderes als eine Demo.

Wenn wir heute gemeinsam den Weg Richtung Ahlerstedt als Pilgerweg gehen, ist er zugleich ein gemeinsamer Sonntag, für jeden von uns ein heute geschenkter Tag. Ein öffentliches Signal, und zugleich eine persönliche spirituelle Erfahrung. Dazu gehört, sich bewusst zu werden: Du bist da. Du darfst heute hier sein, kannst deinen Körper spüren, seine Kraft, irgendwann auch Anstrengung und Müdigkeit. Du kannst Menschen auf dem Weg entdecken, Gespräche führen. Du kannst die Landschaft wahrnehmen, die kühle Luft atmen, die Sonne auf der Haut spüren, die Natur auf dich wirken lassen.

Diese wachsame Wahrnehmung hat sehr viel mit unserem politischen Thema zu tun: Als Christenmenschen sehen wir die Natur nicht einfach als Natur, sondern als Schöpfung, als Gabe und Geschenk des Schöpfers.

Martin Luther hat das im Kleinen Katechismus ausgedrückt: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit“. Mich und alle Kreaturen hat Gott geschaffen – wir sind zusammengebunden. Und das aus lauter väterlicher (und mütterlicher) göttlicher Güte. Das zu bedenken, mag uns die Ruhe und Wachsamkeit des Pilgerns helfen.

In der Schöpfung erfahren wir die Güte des Schöpfers. Papst Franziskus nennt in seiner Schöpfungsenzyklika Laudato Si das Grundsatzkapitel sehr schön: „Das Evangelium von der Schöpfung“ (62ff). Also nicht nur die Botschaft von Christus ist Evangelium, ist frohe Botschaft, auch die Schöpfung ist es. Wir entdecken in der Schöpfung Spuren der Güte des Schöpfers, sehen und rühmen seine Gegenwart. Der Papst, der übrigens in der auch für evangelische Ohren höchst lesenswerten Enzyklika Eindrückliches zum Thema Klimawandel sagt, stellt wunderbar heraus, wie in der Natur Gott am Werk ist und wie umgekehrt die Schöpfung Gott lobt. „Wahrzunehmen, wie jedes Geschöpf den Hymnus seiner Existenz singt, bedeutet, freudig in der Liebe Gottes und in der Hoffnung zu leben“ (85), so der Papst – und er fährt fort, Psalm 148 zitierend: „‘Lobt den Herrn, Sonne und Mond, lobt ihn, all ihr leuchtenden Sterne; lobt ihn, alle Himmel und ihr Wasser über dem Himmel! …‘ (Ps 148,3-5). Wir existieren nicht nur durch die Macht Gottes, sondern vor ihm und vereint mit ihm. Darum beten wir ihn an.“ (72).

So besungen kann Natur dann eines nicht mehr sein: bloße Ressource, bloßer Gegenstand menschlichen Zugriffs, technischer Verfügung und ökonomischer Ausbeutung. Sie kann dann nicht mehr bloße „ausgebreitete Sache“ sein, res extensa, wie die Neuzeit seit Descartes denkt und handelt. Das zu meinen, hat viel Elend gebracht. Die Schöpfung ist nicht einfach Objekt.

Selbstverständlich darf man auch nicht einfach eine romantische Weltsicht besingen. Wir kommen aus der von Wissenschaft und Technik geprägten Welt nicht heraus; sie sind in vielem ja auch sehr erfolgreich und tragen viel zu einem guten Leben vieler Menschen bei. Man muss sich nur fragen, wie viele von uns etwa ohne moderne Medizin gar nicht mehr hier wären.

Und gerade wissenschaftliche Vernunft erfordert ja, alles Menschenmögliche gegen den Klimawandel zu tun – und sie zeigt, wie viel längst möglich ist, wie man klimafreundlich Strom erzeugen und heizen und isolieren kann, sich fortbewegen und einkaufen. Engagement für den Klimawandel ist keine Domäne von Naturromantikern oder radikalen Asketen, sondern ein Gebot der Vernunft, auch der wissenschaftlich-rationalen Vernunft, die allen zugänglich ist. „Wir müssen wissenschaftlich fundierte, aber ethisch motivierte Entscheidungen treffen“, sagt zu Recht Frau Prof. Lochte.

Ein Gebot der christlichen Ethik aber ist es, die Natur nicht nur als Natur, sondern als Schöpfung wahr und ernst zu nehmen. Indem wir sie als Schöpfung Gottes sehen, sehen und hören wir in ihr Gottes Anrede an uns. „Schöpfung ist Rede an die Kreatur durch die Kreatur“ (J.G.Hamann).

Die Schöpfung ist Anrede Gottes. Wir hören die Mahnung zum behutsamen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen. Und in ihr klingt und schwingt ein Lob und Jubellied auf den, der uns das Leben gibt.

Jede und jeder von uns kennt Momente, in denen man von diesem inneren Gesang der Schöpfung gleichsam überwältigt wird. Ich wünsche Ihnen und mir solche Naturerfah-rungen auch beim Pilgern. Die Ströme sollen frohlocken, und alle Berge seien fröhlich vor dem HERRN, so betet Psalm 98. Spitzen wir die Ohren. Lassen wir die Schöpfung ihr Lied singen, das Lied geschenkten Lebens. Und je mehr wir so auf das Lob der Schöpfung hören, desto mehr werden wir tun, davon bin ich überzeugt, was immer wir können, um behutsam mit ihr umzugehen.

Denn: Der französische Soziologe Bruno Latour sagt in seinem Buch „Jubilieren“: Religiöses Reden will nichts erreichen, so wie vielleicht auch wirkliches Pilgern nicht. Aber gerade so verändert es eine Menge.

„Jubilieren ist Menschen- und Weltveränderung“. Also: nehmen wir das Jubilieren der Schöpfung wahr, lassen wir uns anstecken und stimmen wir ein. Um gerade so eine Menge zu erreichen. Dazu gebe uns Gott an diesem Tag seinen Segen. Amen.