Predigt am 1. Weihnachtstag 2022

St. Wilhadi-Kirche, Stade
Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Predigt über „Dies ist die Nacht, da mir erschienen“
 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Kundige wussten es schon länger. Aber zu Weihnachten konnte man es einmal wieder nachlesen: „Weihnachtliches Singen macht fit und glücklich“. Ich weiß nicht genau, ob das, was Sie heute Mittag gegessen haben, unter gesundheitlichen Aspekten ausschließlich empfehlenswert war. Dass Sie jetzt im Gottesdienst sind und wir gemeinsam singen, ist es eindeutig. Denn schon nach wenigen Liedstrophen sorgen Veränderungen im Hormonspiegel dafür, dass der Vorweihnachtsstress abfällt und sich ein Glücksgefühl bei allen einstellt. „Gesundheitsexperten empfehlen daher das weihnachtliche Singen, denn es wirkt wie Fitnesstraining und Meditation in Einem, der Körper produziert einen Glückscocktail, u.a. aus Serotonin, Dopamin und Endorphin. Gleichzeitig senkt der Gesang die Konzentration von Hormonen, die aggressiv und stressanfällig machen. Und zusätzlich wirkt das Singen noch wie leichtes Fitnesstraining und stärkt Herz und Kreislauf.“

Also – gute Gründe zu singen, zuhause, im Gottesdienst oder dienstags bei Hauke Ramm in der Kantorei. Und es gibt einen weiteren guten Grund: Wir haben wunderbare Weihnachtslieder, herrliche Lieder mit großartigen Texten. Jedes Jahr lege ich an den Weihnachtstagen der Predigt ein Weihnachtslied zugrunde. In diesem Jahr ist es das Lied unter der Nr. 40: Dies ist die Nacht, da mir erschienen.

Das Lied steht in der Hitliste der Greatest Hits zu Weihnachten nicht ganz oben, aber es hat es in sich. Lassen Sie uns die erste Strophe miteinander singen.

1) Dies ist die Nacht, da mir erschienen
des großen Gottes Freundlichkeit;
das Kind, dem alle Engel dienen,
bringt Licht in meine Dunkelheit,
und dieses Welt- und Himmelslicht
weicht hunderttausend Sonnen nicht.

Unser Lied stammt von dem Liederdichter Kaspar Friedrich Nachtenhöfer. Nachtenhöfer war „ein trefflicher Musicus und geschickter Poet“, wie ein Zeitgenosse sagte. Er ist 1624 in Halle geboren, wuchs also während des Dreißigjährigen Krieges auf. Er studierte an der Universität in Leipzig Theologie und wurde Pastor in der Nähe von Coburg, heute an der Grenze von Bayern nach Thüringen. Später war er Pastor direkt in Coburg, dort ist er 1685 gestorben, 61 Jahre alt. Kaspar Friedrich Nachtenhöfer hat einige Lieder hinterlassen, die bis heute gesungen werden. Eins steht in unserem Gesangbuch: Dies ist die Nacht, da mir erschienen.

Das Lied versetzt sich in die Christnacht, in die Nacht, in der der Stern über den Feldern von Bethlehem steht. Die Weihnachtsgeschichte ist ja eine Nachtgeschichte. Sie spielt im Dunkeln. Ein paar Fackeln vielleicht in der Weite der Dunkelheit. Ein Lagerfeuer. Mehr nicht. Wie ich zufällig weiß, gab es auch noch keine Weihnachtsbeleuchtung.

Nachtenhöfer schreibt ein Lied über Weihnachten als Meditation über die Nacht – und über das Licht, über das Licht, dass durch Weihnachten in unsere Welt leuchtet: das Kind, dem alle Engel dienen, bringt Licht in meine Dunkelheit, haben wir gesungen. Und das scheint mir in dieses Jahr 2022 gut zu passen.

Was mich besonders bewegt: Von Nächten hat Kaspar Friedrich Nachtenhöfer eine Menge gewusst in seinem persönlichen Leben. Mit seiner ersten Frau, noch als Dorfpastor, hat er fünf Kinder, von denen drei früh sterben: eins am Geburtstag der Mutter, eins zu Weihnachten und eins vier Stunden nach dem Tod seiner Mutter. Auch eine zweite Ehe Nachtenhöfers endet nach wenigen Jahren durch den Tod seiner Frau nach der Geburt des zweiten Kindes. Nachtenhöfer trägt ins Kirchenbuch ein: „Meine herzliebste Hausfrau, Maria Elisabeth Weissin, so am vergangen Montag sanft und selig in großem Glauben und Andacht nach fünfjährigem, friedlichem Ehestand verschieden, des Alters noch nicht 24 Jahr.“ Vier Jahre bleibt der Witwer mit seinen vier Kindern allein, dann heiratet er ein drittes Mal. Aber auch diese Frau muss er zu Grabe tragen.

Auch wenn für frühere Jahrhunderte der Tod sehr viel selbstverständlicher zum Leben gehörte als für uns, ist das alles nur schwer zu ertragen. Es wirkt sich jetzt auch auf Nachtenhöfers Gesundheit aus. Nur auf Drängen seiner Freunde heiratet er noch ein viertes Mal. Am Ende hat er drei Ehefrauen und zwölf Kinder zu Grabe getragen. Wir wissen nicht genau wann, aber in dieses Leid hinein dichtet er sein Lied von dem Licht, das in die Dunkelheit hineinscheint. Kaspar Friedrich Nachtenhöfer hat nicht nur den Dreißigjährigen Krieg mit allen seinen Zerstörungen erlebt, er hat auch persönlich gewusst, was innere Nacht ist.

Und er schreibt und glaubt gegen diese Nacht an. Weihnachten steht dafür, dass Gottes Licht gerade in unsere tiefsten Dunkelheiten leuchtet: das Kind, dem alle Engel dienen, bringt Licht in meine Dunkelheit. Dieser eine, einfache Satz enthält im Grunde die ganze Weihnachtsbotschaft.

Lassen Sie uns die Strophen 2 und 3 singen.

2) Lass dich erleuchten, meine Seele,
versäume nicht den Gnadenschein;
der Glanz in dieser kleinen Höhle
streckt sich in alle Welt hinein;
er treibet weg der Höllen Macht,
der Sünden und des Kreuzes Nacht.

3) In diesem Lichte kannst du sehen
das Licht der klaren Seligkeit;
wenn Sonne, Mond und Stern vergehen,
vielleicht noch in gar kurzer Zeit,
wird dieses Licht mit seinem Schein
dein Himmel und dein Alles sein.

Nachtenhöfer hat genug von der Nacht gewusst. Er schreibt und glaubt gegen diese Nacht an. Er nimmt es ganz persönlich, dass zu Weihnachten Gottes Licht für ihn, für Dich und für mich zur Welt gekommen ist. In seiner Barocksprache heißt das: „Lass dich erleuchten, meine Seele, versäume nicht den Gnadenschein“ Meine Seele. Immer wieder sagt er Ich: Dies ist die Nacht, da mir erschienen des großen Gottes Freundlichkeit. Es kommt alles darauf an, dass die Botschaft von Weihnachten zu meiner Botschaft wird, dass ich sie persönlich annehme. „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir: Du bliebest doch in alle Ewigkeit verloren“, so sagt es der Dichter Angelus Silesius, im selben Jahr wie Nachtenhöfer geboren.

Das spannende an Nachtenhöfers Lied: Dieses sehr Persönliche ist der eine Pol. Der andere Pol ist eine große kosmische Weite. Das Kind, dem alle Engel dienen, bringt Licht in meine Dunkelheit, und dieses Welt- und Himmelslicht weicht hunderttausend Sonnen nicht. Das Kind in der Krippe wird zusammengedacht mit der Weite des Kosmos – das macht das Geheimnis von Weihnachten aus. Das zieht sich durch das ganze Lied hindurch. Nachtenhöfer denkt an die ärmlichen Umstände der Geburt Jesu und dichtet: der Glanz in dieser kleinen Höhle streckt sich in alle Welt hinein.

Was für eine Zusage auch für das Weihnachtsfest 2022. Für das Fest in einem Jahr, in dem wir ganz neue Erfahrungen von Dunkelheit gemacht haben, ganz buchstäblich, weil manche Beleuchtung ausgeschaltet werden musste. Aber bei uns ist das harmlos, ganz anders als bei den Menschen in der Ukraine, denen die russische Armee gezielt die Elektroversorgung und die Heizung zerschießen, damit sie im Kalten und Dunkeln sitzen. Ich kann diese Gedanken nur mühsam aushalten. Und ich wünsche und bete, dass viele der betroffenen Menschen, die ja Christen wie wir sind, die Erfahrung dieses weihnachtlichen Trostes machen: der Glanz in dieser kleinen Höhle streckt sich in alle Welt hinein; er treibet weg der Höllen Macht, der Sünden und des Kreuzes Nacht.

Natürlich sind auch wir gefragt, zu tun was an uns ist. Davon singt die 4. Strophe: Menschen, die von Gottes Licht beleuchtet werden, werden selbst Lichtträger. Lass nur indessen helle scheinen dein Glaubens- und dein Liebeslicht. Menschen, die vom weihnachtlichen Geheimnis ergriffen sind, die helfen, dass es ein wenig heller wird auf dieser Welt. Durch Hilfe für die Menschen in der Ukraine und für die, die zu uns geflohen sind. Aber auch für alle anderen Geflüchteten, da darf es keine zwei Klassen geben – gerade an ihnen zeigt sich unsere Bereitschaft zur Nächstenliebe, wenn ich an eine aktuelle politische Debatte in Sachsen denke. Weihnachtliche Menschen sind Menschen, die für eine Kultur der Barmherzigkeit einstehen, für Solidarität und Nächstenliebe. Weihnachtliche Menschen tragen das Licht von Weihnachten weiter, weiß Nachtenhöfer: willst du genießen diesen Schein, so darfst du nicht mehr dunkel sein. Wir singen die 4. und 5. Strophe.

4) Lass nur indessen helle scheinen
dein Glaubens- und dein Liebeslicht;
mit Gott musst du es treulich meinen,
sonst hilft dir diese Sonne nicht;
willst du genießen diesen Schein,
so darfst du nicht mehr dunkel sein.

5) Drum, Jesu, schöne Weihnachtssonne,
bestrahle mich mit deiner Gunst;
dein Licht sei meine Weihnachtswonne
und lehre mich die Weihnachtskunst,
wie ich im Lichte wandeln soll
und sei des Weihnachtsglanzes voll.

Ein Lied über das Licht, das unsere Nächte erhellt. Die Nacht kann tief und schwarz sein, bedrohlich. In der Nacht werden die Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach Orientierung und Halt oft besonders bedrängend. Nachts können Probleme groß und scheinbar unüberwindlich werden. Sorgen türmen sich zu bedrohlichen Szenarien auf, wir sind Gedanken und Gefühlen schutzlos ausgeliefert. Unerträglich kann die Nacht sein, vor Schmerzen, Sorgen, Schlaflosigkeit. In der Nacht kommt Gott zur Welt. Auch in meine und Deine leidvollen Nächte Dies ist die Nacht, da mir erschienen des großen Gottes Freundlichkeit; das Kind, dem alle Engel dienen, bringt Licht in meine Dunkelheit.

Ich erinnere mich an einen Krankenhausbesuch. Ich besuchte jemanden, der mit einer schweren Krebserkrankung behandelt wurde. Die Person erzählte mir von der Krankheit, von ihrem gefährlichen Ernst, der unsicheren Perspektive. Auch von der Angst, die die Krankheit auslöst. Da machte jemand wirklich Nachterfahrungen. Während des Gesprächs saß ich so, dass genau hinter dem Kopf meines Gegenübers eine Schrifttafel zu lesen war mit dem bekannten Wort von Dietrich Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen man. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen. Und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Darüber haben wir dann auch gesprochen: Gott ist mit uns am Abend und Morgen. Das wissen wir, weil Gott zwischen Abend und Morgen uns nahegekommen ist, in der Nacht.

Die letzte, die 5. Strophe ist ein Gebet. Ein wunderbares Weihnachtsgebet. Übrigens ist es das erste Mal in der Geschichte, dass in einem Lied das Wort „Weihnachten“ auftaucht. Das Gebet gipfelt in den wunderbaren, einfachen Worten: Lehre mich die Weihnachtskunst. Die Weihnachtskunst – das wäre jetzt vielleicht eine eigene Predigt. Aber ich lasse dieses Gebet so stehen und spreche es für mich und für uns alle. Dein Licht sei meine Weihnachtswonne und lehre mich die Weihnachtskunst, wie ich im Lichte wandeln soll und sei des Weihnachtsglanzes voll.

Amen