Predigt beim Neujahrsempfang der Cuxhavener Stadtgemeinden

21. Januar 2024 - Predigt zu 2. Könige 5,1-15
Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Gnade sei mit euch und Friede von Gott und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Eine ziemlich abgedrehte Geschichte ist das, liebe Gemeinde, die uns heute als Predigttext vorgegeben ist und die wir als Lesung mit verteilten Rollen schon gehört haben. Kaum jemand wird sie gekannt haben.

Ich will mich auf die Geschichte aus einer fremden und fernen Welt einlassen. Wir sind im 9. Jahrhundert vor Christus, also bald 3000 Jahre vor heute. Und wir sind erstmal im Ausland – von Israel aus gesehen. Wir sind im Land der Aramäer, im heutigen Syrien. Offenbar spielte auch damals schon Militär in der Region eine große Rolle. Es wird im Umfeld unserer Geschichte ständig von Kriegen erzählt. Die Aramäer haben Samaria, das ist das nördliche Israel, militärisch besiegt und abhängig gemacht.

Hauptfigur unserer Geschichte ist ein hoher Offizier: Naamann, der Oberbefehlshaber der aramäischen Truppen. Naamann hat Karriere gemacht als Soldat, er ist erfolgreich und anerkannt. Aber er ist krank. Er leidet an einer Hautkrankheit. Schuppenflechte oder etwas Ähnliches. Diese Krankheit kann jeder sehen, sie isoliert. Da nützt der ganze Erfolg nichts. Ein und dieselbe Person, stark und krank, mächtig und erbärmlich. Wie sehr Krankheit an Leib und Seele alles andere beeinträchtigen kann – davon können nicht wenige unter uns ein Lied singen.

Im harten Kontrast zum großen Heerführer kommt die Wende auf den Weg durch eine gänzlich unbedeutende junge Frau. Es ist eine Sklavin, die die Syrer aus Israel verschleppt haben. So machen das siegreiche Mächte im Krieg eben - furchtbar. Dieses namenlose junge Mädchen aus Israel ist als Dienerin der Ehefrau des Offiziers Naamann eingesetzt. So erlebt sie auch dessen Krankheit. Und sie will helfen und sagt eines Tages. „Wenn mein Herr doch einmal bei dem Propheten bei uns in Israel wäre. Der könnte helfen“.

Was für eine Friedensbotschaft. Eine junge Frau, verschleppt, zur Zwangsarbeit verdammt. Sie sieht im Mann ihrer Chefin nicht den Feind (der er ja ist), sondern sie sieht in ihm den leidenden Mitmenschen und lässt sich von dessen Elend anrühren. Sie will Hilfe vermitteln.

Was für eine Aktualität hat diese Geschichte! Es ist eine höchst interkulturelle Geschichte. Die ganze Dynamik kommt durch die Begegnung von Menschen verschiedener Nationalitäten, Kulturen und Religionen zustande. Wenn man das aus der Bibel herausnehmen würde, bliebe wenig übrig. Übrigens: Aus unserer deutschen Sicht bliebe gar nichts übrig. In der Bibel kommen ausschließlich Menschen zu Wort, von denen die Leute, die sich da in Potsdam konspirativ versammelt haben, den allergrößten Teil sicherlich als nicht hinreichend integriert abschieben würde. Es ist großartig und leider höchst notwendig, dass in diesen Tagen Menschen überall in unserem Land sehr entschieden für Demokratie und Menschenrechte öffentlich eintreten. Ich habe es gestern mit 2000 Menschen in Buxtehude getan, von wo ein AfD-Abgeordneter in Potsdam dabei war. Es ist notwendig, dass die große Mehrheit der Demokraten in unserem Land jetzt Gesicht zeigt gegen Rassismus und gegen Fantasien von „Remigration“, die in Wahrheit Deportation bedeuten würden. Menschen nach Herkunft oder Hautfarbe zu selektieren, ist grundgesetzwidrig und menschenrechtswidrig und mit unserem christlichen Bild vom Menschen in keiner Weise zu vereinen.

Zurück zu unserer interkulturellen Geschichte. Jetzt werden die Mächtigen tätig – und damit wird es kompliziert. Die junge jüdische Sklavin hat ihrer Herrin den Hinweis auf den israelitischen Propheten gegeben, der helfen könnte. Die erzählt es ihrem Mann, dem Naamann. Der erzählt es seinem Chef, dem König. Und der König macht es zur Chefsache: „Lasst mich mal machen“, sagt er mit breiter Brust. Er wendet sich direkt an den König von Israel, Joram. Er schreibt ihm einen Brief und schickt Naamann mit jeder Menge wertvollster Geschenke zu ihm. Ein wenig wie bei den Geschichten aus Tausend und einer Nacht. Ein wenig auch wie bei den Weisen aus dem Morgenland bei der Geburt Jesu.

Aber wir sind in Kriegszeiten – das zerstört vieles. So erleben wir es in unseren Zeiten auch. Man muss sich das klarmachen: Es ist etwa, als ob ein hoher russischer Offizier den ukrainischen Präsidenten Selenskyi um persönliche Hilfe bittet. Naamann also übergibt im Namen seines syrischen Königs dem König von Israel Geschenke und Briefe mit der Bitte, ihn, Naamann, von der Krankheit zu heilen. Aber der König von Israel weist das brüsk zurück. „Was soll ich hier helfen? Wir sind im Krieg. Es ist doch ganz offensichtlich, dass das nur ein Trick ist, um etwas gegen uns zu unternehmen.“ Empört zerreißt der König seine Kleider. Wo der Geist des Misstrauens und der Gewalt bestimmt, haben es Versöhnung und Heilung schwer.

Die Lösung auf Seite der „Großkopfeten“ ist schief gegangen, ein Moment von Herrschaftskritik ist ganz deutlich in dieser Geschichte. Jetzt meldet sich wieder einer zu Wort, den niemand auf dem Zettel hatte. Der Prophet Elisa. Kein hoher Religionsbeamter, sondern ein Prophet an einem Heiligtum in der Provinz. Einer, den keiner kennt. Er muss sich selbst ins Spiel bringen, und das tut er selbstbewusst: „Ich kann helfen. Lass Naamann zu mir kommen. Er soll erkennen, dass es hier in Israel einen Propheten des wahren Gottes gibt.“ Darum geht es am Ende natürlich, dass die Macht dieses einen, wahren Gottes sich erweist.

Naamann macht sich auf den Weg, und jetzt wird es komisch und beinahe tragikomisch. Denn der Prophet empfängt ihn gar nicht. Man muss sich das bildlich vorstellen: Da ist der ranghohe Offizier, hoch zu Ross, mit großem Gefolge, zum Haus des kleinen Propheten gekommen. Und der empfängt ihn nicht mal. Er kommt nicht heraus, er bittet ihn nicht herein. Er schickt ihm nur einen Diener heraus, der dem Naamann sagt: „Geh und wasch dich siebenmal im Jordan, dann wirst du gesund.“ Der große Offizier flippt aus. Er hatte natürlich „Chefprophetenbehandlung“ erwartet, höchste Aufmerksamkeit. Aber ihm wird nur eine prophetische Sprechstundenhilfe herausgeschickt mit dieser läppischen Anweisung, sich siebenmal im Jordan zu waschen. Kein spektakuläres Wunder. Keine großartige medizinische Behandlung, keine spektakuläre Zeremonie, so wie Naamann das erwartet hatte. Einfach Waschen soll er sich. Lächerlich. Naamann ist empört und verweigert das. „Flüsse haben wir zuhause auch, und sogar bessere. Baden kann ich zuhause ja wohl auch.“ Zornig und enttäuscht reist er ab.

Jetzt muss wieder ein Diener helfen, ein Untergebener. Diesmal ist es ein Diener Naamanns. Er tritt als Seelsorger auf und sagt seinem Herrn: „Wenn der Prophet Großes, Teures, Kompliziertes vor Dir gefordert hätte – das hättest Du auf Dich genommen. Um wie viel mehr solltest Du den einfachen prophetischen Rat annehmen und Dich im Jordan waschen.“ Es erfordert viel Mut von dem Diener, mal wieder, die großen Herren vor sich selber zu schützen und vor ihrem Großmannsgehabe. Und es erfordert Einsicht darauf zu hören. Wehe, wenn sich verantwortliche Leute, wo auch immer in der Wirtschaft, in der Politik, in der Kirche nichts mehr sagen lassen!

Naamann jedenfalls lässt sich umstimmen, zum Glück. Er fährt zum Jordan, taucht siebenmal unter. Und: „Sein Fleisch wurde heil, wie das Fleisch eines jungen Knaben.“

Was für eine Geschichte! Der hohe Herr mit der eklig-schuppigen Haut wird von einem jungen ausländischen Mädchen und von seinem Diener auf den Weg gebracht und hat am Ende wieder heile Haut wie ein Kind. Und mit der Gesundung verbindet sich die geistliche Einsicht „Jetzt weiß ich, dass es nirgends auf der Welt einen wahren Gott gibt außer in Israel.“ Am Ende hat sich die Macht des Gottes Israel erwiesen. Darauf zielt die Geschichte. Der Prophet Elisa hat die Wirksamkeit seines Gottes gezeigt.

Das ist die Aufgabe der Leute Gottes, auch von uns Leuten Gottes in der Kirche, die heute zum Neujahrsempfang zusammen sind. Es ist unsere Aufgabe und unser Vorrecht, Zeugen unseres Gottes zu sein in dieser Welt. Es ist unsere Berufung, von Gottes Macht zu sprechen in dieser Welt, von Gottes Macht, die Menschen heilmachen kann, die aber auch die Kraft geben kann, mit Nöten und Krankheiten zu leben. Es ist unser Vorrecht, zum Vertrauen auf diesen Gott einladen zu dürfen. Und: Es ist unsere Aufgabe als Leute Gottes, für die Menschen da zu sein, in unseren Gemeinden, für alle Menschen in unserer Stadt, für die Seeleute, für die Touristen, für alle. Es ist unsere Aufgabe, im Namen unseres Gottes einzustehen für Nächstenliebe, für eine Kultur der Barmherzigkeit in unserem Land, für professionelle und engagierte Diakonie auch. Es ist uns aufgegeben, einzutreten für den Frieden und gegen Hass, gegen Intoleranz, gegen Rassismus. Unserer Geschichte jedenfalls lebt daraus, dass der Glaube Feindgrenzen überwindet. Damit wird die Welt nicht gleich friedvoll – wie gesagt, es gibt weiterhin viel Krieg, auch zwischen Aramäern und Israel. Aber es sind Inseln des Friedens, der Liebe, der Versöhnung möglich. Und wir vertrauen darauf, dass am Ende so Gottes Zukunft aussieht.

Die Macht des Gottes der Bibel erweist sich in unserer Geschichte. Die eigentliche Pointe scheint mir zu sein: Die Macht Gottes erweist sich im Niedrigen. Die Mächtigen scheitern. Zentner von teuren Geschenken bringen gar nichts. Der wahre Gott, zu dem sich Naamann am Ende bekennt, der hohe und erhabene Gott, in dessen Vollmacht Elisa wirkt, ist weder abhängig noch manipulierbar von all dem, was an Macht und Reichtum mitgeschleppt wird. Gott erweist seine Größe gerade darin, dass er in der Niedrigkeit wirkt. Durch ein jüdisches Mädchen, durch einen Landpropheten, durch einen Diener, durch ganz unspektakuläres Waschen. Der große Mann auf dem hohen Ross muss lernen, dass nicht alles machbar und auch nicht käuflich ist. Heilwerden, Reinwerden ist ein Geschenk. Pure Gnade. Nicht wie ich will, sondern wie du willst, Gott, so lernt er.  

Gott erweist seine Größe gerade darin, dass er in der Niedrigkeit wirkt. Eine jüdische Anekdote dazu: Ein Schüler kam zum Rabbi und fragte: „Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. Warum gibt es das heute nicht mehr?“ Der Rabbi antwortete: „Weil sich keiner mehr so tief bücken will.“

Für uns Christen erinnert das unmittelbar an Jesus. Die Macht Gottes erscheint in der Geburt des Kindes in der Krippe. Die Liebe Gottes kommt zum Ziel im Kreuz Jesu – in der Niedrigkeit. Deshalb dürfen wir mit Gottes Gegenwart gerade in der Niedrigkeit rechnen, da, wo von seiner Macht erstmal nichts zu sehen ist, wo Menschen krank sind, wo Menschen ihr Teil zu tragen haben. Gerade wo wir nicht mit Gott rechnen – wie Naamann in der Sache mit den Waschungen –, da ist Gott gegenwärtig.

Ich wünsche uns, dass wir Gott immer wieder auf diese Weise entdecken in diesem Jahr, gerade da, wo nicht damit zu rechnen ist. In der persönlichen Krankheit oder Schwäche. Auch in den Schwächen unserer Kirche, und keine Frage – unsere Kirche steht vor manchen Herausforderungen, wenn man an die aktuelle Mitgliederentwicklung denkt, an neueste Umfragen, an viele vakante Pfarrstellen. Wenn es stimmt, dass sich Gottes Macht gerade im Niedrigen erweist, dann können wir mit großer Zuversicht in dieses Jahr gehen und nach bestem Wissen das tun, was uns möglich ist.

Die Geschichte geht mit einem spannenden Dialog zwischen Naamann und dem Propheten Elisa weiter. Am Ende schickt Elisa den Offizier aus dem feindlichen Land wieder zurück in seine Heimat mit dem Wunsch: „Lech le Schalom.“ „Gehe in Frieden.“ Das wünsche ich Ihnen auch für dieses Jahr: „Gehen Sie in Frieden!“

Amen