„Das Haus des Schmerzes öffnen“

Nachricht Norden, 02. Juni 2023

Regionalbischof Klahr zur Ausstellung von Herbert Müller in Norden

Die Ausstellung „Unsichtbares sichtbar machen. Das KZ vor der Haustür“ zeigt im Juni und Juli 50 Werke des Künstlers Herbert Müller über das KZ-Engerhafe in der Ludgerikirche Norden. 
„Diese Ausstellung mag dazu verhelfen, das Haus des Schmerzes ein wenig zu öffnen“, sagte Regionalbischof Dr. Detlef Klahr im Anklang an ein Gedicht von Hilde Domin. Erinnerungsarbeit diene dazu, dem Schmerz ein Fenster zu öffnen. Das Geschehene dürfe nicht vergessen werden. Eine Gesellschaft, die sich verändert, brauche die Erinnerung, um einen neuen Weg einzuschlagen. 
Dazu habe das Werk Herbert Müllers und der 2009 gegründete Verein Gedenkstätte KZ-Engerhafe beigetragen. 
 

Unsichtbares sichtbar machen

Herbert Müller habe es mit seinen Bildern geschafft, das KZ vor der Haustür in Engerhafe sichtbar zu machen. Auch seien durch seine Initiative die Einzelgräber der 188 KZ-Opfer auf dem Friedhof in Engerhafe 2016 erst sichtbar geworden. 
Die künstlerische Arbeit von Herbert Müller sei ein wichtiger Bestandteil der KZ-Gedenkstättenarbeit in Engerhafe, so Klahr.
Die Ausstellung „Unsichtbares sichtbar machen“ lege sich wie ein weiterer Jahresring an einem Baum auch um das Leben des Künstlers. Über 35 Jahre hinweg seien diese Werke entstanden und werden nun dort gezeigt, wo Herbert Müller vor 70 Jahren getauft worden sei.
„Kirche ist immer auch ein Ort, an dem wir der Würde eines jeden einzelnen Menschen vor Gott gedenken“, sagte der Regionalbischof für den Sprengel Ostfriesland-Ems. 
 

Der Titel der Ausstellung „Unsichtbares sichtbar machen. Das KZ vor der Haustür“ sei gewählt worden, weil in Engerhafe vom KZ nichts mehr zu sehen sei. Bereits 1945 seien die Spuren des KZ fast vollständig ausgelöscht gewesen, sagte Pastor Martin Specht in dem Gespräch mit dem Künstler. „Es gab nur einen kleinen Briefumschlag mit Zetteln, auf denen die Namen der Toten aufgeführt waren und die Zeugnis davon gaben, wo ein Gefangener herkam“, erläuterte Herbert Müller.

Vom 21. Oktober bis 22. Dezember 1944 gab es in Engerhafe ein Außenlager des KZ-Neuengamme mit 2000 Häftlingen, um rund um Aurich einen Panzerabwehrgraben zu errichten. 

Die Häftlinge der Außenlager Engerhafe, Meppen-Dalum und Versen, Husum-Schwesing und Ladelund sollten entlang der deutschen Nordseeküste eine Wehranlage errichten, den sogenannten Friesenwall. 

Nach einem Entwurf von Herbert Müller wurde in Aurich-Sandhorst ein Mahnmal gestaltet, eine gelb gefasste Stahlkonstruktion, die den Querschnitt des Grabens vor Augen bringt. 
 

„Die Bilder gingen mir nicht mehr aus dem Kopf“

„Seit dem ich in den 80er Jahren in einem Vortrag von Martin Wilken in Aurich davon gehört hatte, gingen mir die Bilder nicht mehr aus dem Kopf“, sagte Müller. „Und als ich mit ehemaligen Gefangenen darüber sprach und sie mir von der Dunkelheit erzählten, entstanden wieder neue Bilder.“

„Die Bilder dokumentieren etwas, ohne realistische Darstellung sein zu wollen“, so Specht in Anspielung auf die gestreifte Häftlingskleidung, die es so in Engerhafe nicht gegeben hatte. 
„Ihre Kunst hat den Dialog mit den Angehörigen eröffnet und es in Engerhafe ermöglicht, sich mit diesem Teil der Geschichte auseinander zu setzen.“ 

Ein besonderer Dialog sei auch im Rahmen der Ausstellung im Chorumgang der Ludgerikirche entstanden. Dort habe Müller die Häftlinge in den Dialog mit den Heiligenfiguren gebracht und auch eine Grabplatte für die 188 Toten aus Kohle gezeichnet und sie neben hohen Würdenträgern platziert.

Der Künstler ist ein aufmerksamer Beobachter

„Herbert Müller ist ein aufmerksamer Beobachter“, sagte die Kunsthistorikerin Dr. Annette Kanzenbach in ihrem Vortrag über das Gesamtwerk Herbert Müllers. „Er sieht Spuren fürchterlicher Geschehnisse in der Vergangenheit und deckt sie auf als Künstler und Mensch mit historischer Verantwortung.“ Müller habe Kunst und Geschichte studiert, war auch als Lehrer tätig und wisse mit historischen Quellen umzugehen. „Die künstlerische Gestaltung von Themen der Zeitgeschichte werden in seinem Werk schon vor 40 Jahren in der Auseinandersetzung mit der Ersten Weltkrieg greifbar. Da er aber auf einen direkten Zeitbezug verzichtet, verleiht er den Bildern eine existenzielle Berührungskraft“, beschreibt Kanzenbach Müllers Werke. Das gelte auch für seine Bilder zum Irakkrieg (1991), aus Bosnien und Kambodscha.

„Kunstwerke können Gedächtnis setzen“, sagte die Kunsthistorikerin. „Sie ersetzen die historische Auseinandersetzung nicht, können sie aber auf anderer Ebene begleiten, Relevanz aufzeigen, Neugier und Nachdenken anstoßen. Den Weg zur Aufarbeitung dieses Kapitels deutscher Geschichte in Engerhafe hat Herbert Müller als Künstler und Lehrer zusammen mit jungen Leuten gebahnt.“