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Sommerinterview mit Dieter Rathing

Nachricht Lüneburg, 02. August 2012

Vor knapp einem Jahr, Ende August 2011 wurde Dieter Rathing in der Lüneburger St. Johanniskirche in sein Amt als Landessuperintendent für den Sprengel Lüneburg eingeführt. Die Region im nordöstlichen Niedersachsen – zwischen Wolfsburg und dem Kreis Harburg, Soltau-Fallingbostel und Lüchow-Dannenberg – ist mit rund 640.000 Kirchenmitgliedern in zwölf Kirchenkreisen der größte Bezirk der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Im Sommerinterview erzählt der 55-jährige Regionalbischof unter anderem von wichtigen Erfahrungen im neuen Amt, skizziert seine Idee eines Sprengel-Bildungszentrums und ruft zum Protest gegen Neonazis auf.

Seit einem Jahr sind Sie Landessuperintendent für den Sprengel Lüneburg. Wie geht es Ihnen im neuen Amt und worin sehen Sie wesentliche Unterschiede zu Ihrer früheren Tätigkeit als Superintendent in Verden?

Rathing: Ich muss weniger entscheiden und darf mehr zuhören. Ich komme an ganz viele Orte, wo ich mich über sehr gelingende kirchliche Arbeit mitfreuen kann. Und daneben erlebe ich auch Konflikte, in denen es so sehr schwächelt und menschelt, wie ich es mir bisher nicht habe vorstellen können. Also kurz gesagt: Oft mehr Freude und gelegentlich tieferes Leid.

Welche Aufgaben eines Regionalbischofs sind Ihnen besonders wichtig?

Rathing: Ich rede oft und gern mit den Pastorinnen und Pastoren über die Veränderungen ihres Amtes. In der Fülle der Aufgaben und der Möglichkeiten wird es für sie immer schwerer, einen geraden Weg in der Gemeindearbeit zu finden.

Zu Ihren ersten Amtshandlungen gehörten Besuche in den zwölf Kirchenkreisen. Ihre wichtigsten Eindrücke?

Rathing: Überall ist man sehr intensiv mit neuer regionaler Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und Einrichtungen beschäftigt, mit Fusionen von Verwaltungen und Kirchenkreisen. Alle machen das sehr verantwortungsvoll, aber auch mit sehr vielen Sitzungen von Gremien und Ausschüssen. Es sind zu viele, wie ich finde. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu einer Sitzungskirche verkommen. Fragen von Strukturen und Organisation dürfen nicht zum Beherrschenden bei uns werden. Die Kirche besteht aus Menschen, aus Begegnung und Gemeinschaft, im Gemeindehaus und in der Kirche.

Angesichts der aufblühenden Natur haben Sie Gott in einer Zeitungsandacht kürzlich als Verschwender bezeichnet. Würden Sie das auch für das Wirken Gottes im kirchlichen Leben des Sprengels Lüneburg so sehen?

Rathing: Ja, ich staune nicht nur vor Fülle und Vielfalt, die Gott uns in der Natur beschert. Unsere Kirchenmusiker sprühen mit ihren Talenten. In der Diakonie gibt’s immer wieder bessere Ideen, um die Not von Menschen wirksam zu lindern. Hier in Lüneburg ist gerade ein Gottesdienst für Demenzkranke und ihre Angehörigen mit einem Preis ausgezeichnet worden. Mit enorm viel Einfühlung hat da eine Diakonin mit ihrem Team Worte gefunden, um diese Menschen in ihrer besonderen Lebenswelt zu erreichen.

Ein weiterer Schwerpunkt des ersten Jahres waren Besuche bei der Kirche im Tourismus. Ist es leichter, Menschen im Urlaub zu erreichen als im Gemeindealltag? Was können Gemeinden von der Kirche im Tourismus lernen?

Rathing: Im Urlaub lassen sich Menschen gern auf Neues ein, sie sind ansprechbarer für Kunst und Kultur, für Worte und Klänge. Im Heidepark Soltau oder im Wietzendorfer Südseecamp nimmt die Kirche im Tourismus das ganz unmittelbar auf: Menschen gehen auf Menschen zu, sprechen sie an, laden sie ein, ganz direkt, ganz unkompliziert. Das trifft auf ein großes Bedürfnis.

Mit Ihrem Betriebspraktikum in Werkstätten der Diakonie Kästorf im Mai haben Sie ein viel beachtetes Zeichen gesetzt. Haben Kirchen-Mitarbeiter ein Defizit in der Wahrnehmung der Arbeitswelt?

Rathing: Ich möchte das nicht so hoch gehängt wissen, wenn ich eine Woche einmal betrieblich arbeite. Vielleicht wissen wir wirklich aus unseren so verschiedenen Arbeitswelten zu wenig voneinander. Das gilt aber nicht nur für Kirchenmenschen. Einladungen zu einem nächsten Betriebspraktikum nehme ich gerne an.

Sie haben kürzlich die Idee geäußert, Hermannsburg als Bildungszentrum des Sprengels zu nutzen. Was genau stellen Sie sich vor?

Rathing: Unsere Landeskirche hat in Hannover hoch qualifizierte Fachleute zu fast allen Arbeitsfeldern, die in den Kirchengemeinden beackert werden. Aber der Weg zueinander ist oft weit. Da kann ich mir ein Hermannsburger Bildungszentrum gut als Drehscheibe für Fortbildung und Erfahrungsaustausch vorstellen. Die dortige Heimvolkshochschule stellt sich gerade neu auf, das könnte passen.

Mehr und mehr treiben Neonazis im Bereich des Sprengels ihr Unwesen, kürzlich wurde öffentlich gegen Pastoren gehetzt, die sich dagegen engagieren. Was kann, was muss die Kirche gegen Rechtsextremismus tun?

Rathing: Nach unserer christlichen Glaubensüberzeugung darf es keine Überordnung von Menschen über Menschen geben, von Hautfarben über Hautfarben, von Kulturen über Kulturen, von Religionen über Religionen. Wo so etwas gedacht oder gefordert wird, beleidigt es Menschen und beleidigt es Gott. Das müssen wir uns selbst und anderen immer wieder sagen.

Nach einem intensiven Jahr hat auch der Landessuperintendent Urlaub verdient. Wie verbringen Sie ihn diesmal?

Rathing: Wie immer mit viel Bewegung. Ich freue mich mit meiner Frau auf eine Fahrradtour an der Ostseeküste, von Lübeck über Rügen zur Insel Usedom.

Die Fragen stellte Hartmut Merten