Appell zu Toleranz und Engagement

Nachricht Gifhorn, 20. April 2015

Wie weit muss Toleranz gegenüber Andersgläubigen gehen? Gibt es Grenzen des Miteinanders?  Wie können Angehörige verschiedener Glaubensrichtungen friedlich zusammen leben? Um diese  Fragen ging es kürzlich beim „1. Gifhorner Religionsgipfel“ im Rittersaal des Gifhorner Schlosses.

„Verschiedenartigkeit ist ein Geschenk“, ließ Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung (BZ), in seiner Begrüßung das Anliegen der öffentlichen Veranstaltung erkennen. Redakteure der mit der BZ verbundenen Gifhorner Rundschau hatten in den letzten Wochen viele der insgesamt mehr als zwei Dutzend Religionsgemeinschaften im Landkreis in einer Zeitungsserie vorgestellt. Einige von ihnen waren an dem Abend mit Informationsständen präsent.

Zur Podiumsdiskussion mit rund 120 Gästen begrüßte Rundschau-Redaktionsleiter Jürgen Stricker als Veranstalter und Moderator stellvertretend Vertreter der örtlichen Ditib-Moscheegemeinde, der deutsch-brasilianischen Pfingstgemeinde, der römisch-katholischen Kirchengemeinde, des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises sowie den evangelischen Landessuperintendenten  Dieter Rathing.

Zunächst betonten die Diskutanten das friedliche Miteinander im Landkreis. So gebe es in Gifhorn seit Jahren das interreligiöse Gebet, christlich-islamische Gottesdienste an Schulen und gemeinsame Feiern etwa aus Anlass des muslimischen Fastenbrechens.Von einer „Kultur der Toleranz“ in der größtenteils aus Zugereisten bestehenden Region sprach der katholische Pastoralreferent Martin Wrasmann und wünschte sich zugleich, „dass wir noch mehr aufeinander zugehen“. Die islamische Religionsgelehrte Melike Zambak unterstrich die guten Erfahrungen: „Wir gehen hier freundlich miteinander um“.

Auch Pastorin Elineia Xavier da Silva von der deutsch-brasilianischen Gemeinde bestätigte die Haltung gegenseitigen Respekts, „ohne die Position des anderen zu übernehmen“. Superintendentin Sylvia Pfannschmidt erinnerte an die Geschichte: Bis ins 16. Jahrhundert hinein sei in Andalusien unter muslimischer Herrschaft ein friedliches Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen gelungen. 

Bei so viel Einverständnis sah sich Landessuperintendent Rathing veranlasst, „Wasser in den Wein“ zu gießen: „Toleranz ist ein anstrengendes Geschäft.“ Sie beginne damit zu erkennen, was den eigenen Glauben von anderen unterscheidet. Sodann gelte es, Respekt vor der Andersartigkeit des anderen zu gewinnen. „Erst dann können wir dahin kommen zu fragen: Wo sind wir gemeinsam intolerant, etwa gegenüber Menschen, die die Würde anderer Menschen mit Füßen treten“, sagte Rathing.

Eine Möglichkeit der Zusammenarbeit sah Superintendentin Pfannschmidt demgemäß im gemeinsamen Engagement für Flüchtlinge. Das Thema Migration verbinde die Religionen, griff Martin Wrasmann die Idee auf. „Wenn jede Gemeinde nur eine Flüchtlingsfamilie bei sich aufnähme, bräuchten wir keine Flüchtlingsheime mehr“, rechnete der Katholik vor. Die Muslime sollten sich stärker an der Flüchtlingsarbeit beteiligen, forderte Wrasmann. Zumal die meisten Flüchtlinge in der Region muslimischen Glaubens seien.

Auch aus dem Publikum kamen kritische Fragen: „Wie stehen Sie zu den Positionen radikaler Islamisten, was bedeutet Ihnen die Scharia, können Sie Andersgläubige tolerieren?“ Laut Koran dürfe niemand zum Islam gezwungen werden, antwortete Melike Zambak, die sich während der Diskussion immer wieder mit Imam Ahmed Tanis beriet. „Der Prophet Mohammed hat mit Juden und Christen friedlich zusammengelebt.“ Zudem meine das Liebesgebot jeden Menschen, nicht nur die Muslime, betonte Zambak. Und distanzierte sich klar von radikalen Muslimen: „Schade, wenn man alle in einen Topf schmeißt“.

Auch Landessuperintendent Rathing warnte davor, von „den Muslimen“ zu sprechen. „Stärken wir lieber die, die gewaltfrei ihren Glauben leben.“ Statt übereinander zu reden, sollten Christen und Muslime miteinander sprechen. „Einfach mal hingehen“, ermutigte der Regionalbischof dazu, Einladungen von Muslimen anzunehmen.

Hartmut Merten