Nicht meckern, wenn Brötchen teurer werden

Nachricht Wolfsburg, 28. August 2015

Landessuperintendent absolviert Betriebspraktikum in Bäckerei und Konditorei

„Ich hätte nicht gedacht, wie viel Handwerk im Handwerk steckt.“ Das sagte Landessuperintendent Dieter Rathing kürzlich nach einem fünftägigen Betriebspraktikum bei der Bäckerei und Konditorei Cadera in Wolfsburg. Auch „die Schnelligkeit, mit der da gearbeitet wird“, hat den Regionalbischof des Sprengels Lüneburg der evangelischen Landeskirche beeindruckt.

Der Arbeitstag begann für Rathing stets nachts um 4 Uhr. In der Backstube erlebte der Geistliche den Prozess „vom Teig zum fertigen Brötchen“ mit, bestreute die fast fertigen Semmeln schließlich mit Körnern. Die Brezel sei am ersten Tag die größte Herausforderung für ihn gewesen, gesteht Rathing. „Als mir endlich ein Teil gelungen war, hatte die Kollegin schon vier Brezeln fertig.“

Nach zwei Tagen wechselte Rathing in die Konditorei des Unternehmens, das seine Produktionsstätten an der Borsigstraße hat. Im Hefeteigbereich belegte er unter anderem Pflaumenkuchen.

 

Konditorei-Chef Wolfgang Kalbreier zeigte sich mit den Leistungen des prominenten Praktikanten vollauf zufrieden: „Er hat ganz einwandfrei mitgearbeitet.“ Gerade die Obstrolle werde gemeinhin „total unterschätzt“. Dabei verlange das Backwerk viele Arbeitsschritte. Zunächst sei der Teig herzustellen, auszurollen, Sahne zu schlagen, das gute Stück schließlich mit Obst zu belegen. „Das hat er toll gemacht“, lobte der Meister.

Neben der handwerklich aufwändigen Produktion war es nicht zuletzt die freundliche Atmosphäre, die Rathing in dem Betrieb mit mehr als 40 Mitarbeitenden beeindruckt hat. „Man hat hier offene Augen füreinander“, beschreibt er das gute Betriebsklima in der Backstube. Dabei sei er selbst für viele der Mitarbeitenden wohl „das große Fragezeichen“ gewesen, vermutet Rathing. Bis sich einer traute, ihn nach seinem Beruf zu fragen. Als Rathing ihm antwortete, er sei Pastor, habe es dem Fragesteller zunächst die Sprache verschlagen. „Nach zehn Minuten kam er wieder: Das hat was mit Kirche zu tun, oder?“

Dass angesichts des 58-jährigen Praktikanten in ihrem Betrieb zunächst Skepsis herrschte, bestätigt Petronella Cadera: „Und der will bei uns mitarbeiten“, habe ein Mitarbeiter verwundert gefragt. Doch der Landessuperintendent habe sich gut ins Team eingefügt, stellte die Cadera-Geschäftsführerin fest. „Seine Anwesenheit war schnell normal.“

1

853 wurde die Bäckerei und Konditorei Cadera in Köln gegründet. Nach der Zerstörung des Betriebs während des Zweiten Weltkrieges siedelte das Familienunternehmen nach Wolfsburg um. Damit ist Cadera die älteste Bäckerei in der Region, mit insgesamt 220 Mitarbeitenden in 19 Filialen zudem die größte.

 

Doch Petronella Cadera macht kein Hehl daraus, dass die Konkurrenz durch Back-Discounter zeitweise eine ernste Bedrohung für ihre Firma war. Doch inzwischen habe sich der Markt einigermaßen sondiert. Gegen die Billig-Konkurrenz helfe nur der Hinweis auf die bessere Qualität. So verwende man bei Cadera ausschließlich hochwertige Zutaten aus regionaler Produktion. Zudem werde bei Cadera gegenüber automatisierten Verfahren bewusst das traditionelle Back-Handwerk hochgehalten.

Auch deshalb bot Petronella Cadera dem Landessuperintendenten gern die Chance zu einem Praktikum in ihrem Betrieb. „Uns gibt das die Chance zu zeigen, wie viel Arbeit in der Produktion unserer Backwaren steckt.“ Schließlich seien die Bäcker heute das einzige Handwerk, bei dem von der Produktion bis zum Vertrieb noch alles aus einer Hand kommt.

Für Landessuperintendent Dieter Rathing bietet das jährliche Betriebspraktikum die Gelegenheit, andere Lebens- und Arbeitswelten kennenzulernen. Auch wenn er die Erlebnisse nicht unmittelbar in seinen Predigten verwerten könne, hinterließen die Erfahrungen Spuren. „Man denkt anders, wenn man so etwas gemacht hat“, sagt Rathing auch mit Blick auf seine vorangegangen Praktika. So begann er 2012 in Werkstätten der Diakonie Kästorf, arbeitete im Jahr danach auf dem Campingplatz Südseecamp in Wietzendorf und begleitete 2014 eine Mitarbeiterin des Evangelischen Dorfhelferinnenwerks in Niedersachsen, dessen Vorsitzender er ist, bei einem Einsatz.

 

Wenn Rathing in dieser Woche eine Sprengelbereisung zum Thema unternimmt, dabei verschiedene handwerkliche Betriebe besucht und auch mit Vertretern der Handwerkskammer zusammenkommt, dann werden dabei sicher auch die Erfahrungen bei Cadera zur Sprache kommen. Eines hat sich Dieter Rathing bereits vorgenommen: „Wenn morgen die Brötchen zehn Cent teurer werden, werde ich nicht meckern!“

Hartmut Merten (Text/Foto)