Theologie, Kirche und Glaube in multireligiösen Kontexten

Nachricht Celle, 15. September 2016

Jahresversammlung der Pastoren diskutiert Herausforderungen

„Glauben Christen und Muslime an denselben Gott?“ Die klassische Frage war jetzt Thema einer Arbeitsgruppe beim Generalkonvent der rund 300 Pastorinnen und Pastoren des Sprengels Lüneburg in Celle. Landessuperintendent Dieter Rathing gab dazu eine doppelte Antwort: Denke man von den verschiedenen religiösen Vorstellungen der Menschen her, dann müsse man die Frage verneinen. „Denken wir dagegen von Gott her, dann könnte man sie bejahen als Lobpreis auf die Größe Gottes, der sich als unerschöpfliches Geheimnis offenbart hat“, sagte der Regionalbischof in seinem Impulsreferat.

Im Christentum gibt es ebenso wie im Judentum und im Islam vermittelnde Positionen neben solchen, die auf Abgrenzung setzen. Dabei bräuchten die Gläubigen ihre jeweilige Perspektive gar nicht zu verlassen, um zu erkennen, dass Gott größer ist als alle Vorstellungen von ihm, meinte Rathing. Hilfreich sei die Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit Gottes und dem Bekenntnis zu ihm.

Für den evangelischen Theologen gibt es gute Gründe für die „Annahme“, dass Juden, Christen und Muslime an denselben Gott glauben. So stimmten die drei monotheistischen Religionen darin überein, dass es nur einen Gott gibt. Der eine Gott sei in der ganzen Schöpfung am Werk. „Ich kann nicht denken, dass Gott seine gnädige Zuwendung zum Menschen von einem bestimmten Gottesglauben abhängig macht“, gestand Rathing. Anders an Gott zu glauben als andere, heiße nicht, an einen anderen Gott zu glauben. Der Heilswille Gottes sei universal.

Dabei gebe es zwischen den Glaubenstraditionen durchaus tiefe und zum Teil unüberbrückbare Differenzen, betonte Rathing. „Aber man kann nicht von diesen Differenzen im Glaubensdenken der Religionen auf die Differenz des göttlichen Grundes schließen.“ Zwar könne es nicht darum gehen, die Theologie dem Ideal der interreligiösen Verständigung anzupassen. „Andererseits kann die interreligiöse Begegnung zu einem Entdeckungsraum für die Gotteserkenntnis werden“, gab Rathing zu bedenken. In der Begegnung und intensiven Beschäftigung mit anderen Religionen überkomme ihn gelegentlich ein Gefühl von Nähe: „Ist nicht das, was die Menschen in jenem anderen Glauben erfahren, dem nahe, was ich in meinem Glauben erfahre?“

„Theologie, Kirche und Glaube in multireligiösen Kontexten“ lautete das Thema der Jahresversammlung in der Lobetalarbeit Celle. Nach dem Eröffnungsgottesdienst mit Landesbischof Ralf Meister stand zunächst ein Vortrag von Dr. Michael Biehl vom Evangelischen Missionswerk in Hamburg auf dem Programm. Der Referent zitierte aus einer Erklärung der Weltmissionskonferenz von 1989 in Texas (USA): „Wir können keinen anderen Weg des Heils bezeugen als Jesus Christus, gleichzeitig können wir Gottes Heilshandeln keine Grenzen setzen.“ Pastoren seien aufgrund ihrer Ausbildung gut gerüstet, im Kontakt mit Andersgläubigen genau hinzuhören und das Gehörte mit dem christlichen Glauben in einen Zusammenhang zu bringen, meinte Biehl. Es sei eine Aufgabe der Kirche, über die rettende Gnade Gottes gegenüber Menschen anderer Religionen nachzudenken.

Wie sie Kultur und Religion in Deutschland wahrnehmen, berichteten in einer weiteren von insgesamt acht Themengruppen drei Flüchtlinge aus den Kirchenkreisen Lüneburg und Bleckede. Für eine junge Frau aus dem Iran etwa ist es die Freiheit, selbstbestimmt zu leben, die sie in Deutschland schätzt. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie sich nach intensiver Beschäftigung mit dem Christentum hat taufen lassen. Auf die Konversion einer Muslimin zum christlichen Glauben stehe im Iran die Todesstrafe, sagt die 34-Jährige. Und Hatem Bakarat aus Syrien lobte die Demonstrationsfreiheit. Auf die Frage, wie er auf Äußerungen radikaler Islamisten in seinem Umfeld reagieren würde, antwortete der Muslim: „Die Polizei rufen. Sie haben unser Land kaputt gemacht. Ich will nicht, dass sie auch noch dieses Land kaputt machen.“

Angesichts einer zunehmend fremdenfeindlichen Stimmung in Deutschland kündigte Landesbischof Meister Gesprächsforen in zunächst zehn Kirchenkreisen an. Hier sollen Einheimische und Flüchtlinge, aber auch AfD-Sympathisanten über ihre Ängste und Vorbehalte im Blick auf die Integration miteinander ins Gespräch kommen.

Hartmut Merten