Generalkonvent philosophierte über die Kunst des Sterbens

Nachricht Celle, 16. September 2014

Ist die Selbsttötung ethisch vertretbar, zumal wenn ein Mensch unheilbar krank ist? Seit Monaten wird das Thema heftig diskutiert, auch mit Blick auf die Frage, ob die Rechtslage zum assistierten Suizid geändert werden soll. Bei ihrer Jahrestagung beschäftigten sich jetzt rund 280 Pastorinnen und Pastoren aus dem Sprengel Lüneburg mit dem Thema: „Die Kunst des Sterbens heute – wer hilft uns dabei?“ Für das Hauptreferat in der Aula der Lobetalarbeit Celle hatte Landessuperintendent Dieter Rathing den Berliner Philosophen Prof. Dr. Wilhelm Schmid gewonnen.

„Die Lebenskunst hat naturgemäß mit der Begrenzung des Lebens zu tun“, führte Schmid in sein Fachgebiet ein.  Der Bestseller-Autor mahnte zur klaren Unterscheidung: Bei der passiven Sterbehilfe bleibe die letzte Verantwortung bei dem Sterbewilligen, während der Tod im Falle der aktiven Sterbehilfe in der Hand eines anderen Menschen liegt. Schmid plädierte dafür, die bisher erlaubte passive Sterbehilfe auch künftig nicht zu verbieten. Das Problem der aktiven Sterbehilfe sei indes „viel schwieriger“. Sie sollte, wenn überhaupt, „sehr restriktiv“ gehandhabt werden.

Für Schmid gehört der Freitod zur Freiheit eines Menschen. Als „philosophischer Seelsorger“ habe er selbstmordgefährdete Menschen gleichwohl gefragt, ob sie ausreichend bedacht hätten, was der Schritt für die Menschen in ihrer Umgebung bedeuten würde.  Und: „Sind Sie sicher, dass Sie diesen Schritt hinterher nicht bereuen werden?“Er selbst habe sich den Gedanken an den eigenen Tod als tägliche Übung verordnet, gestand Schmid. Dennoch verspüre er dem eigenen Lebensende gegenüber eine große Fremdheit. Die Menschen der Moderne versuchten, das Paradies auf Erden zu erleben. „Das Problem ist nur: Dann will keiner gehen.“

Für ihn bedeute Sterben das Entweichen der Energie aus dem Körper. Energie könne in andere Formen umgewandelt, aber nicht vernichtet werden, erinnerte Schmid an eine Einsicht der Physik. Demgemäß lautet seine Überzeugung: „Wenn der Energieerhaltungssatz stimmt, muss die Energie eines verstorbenen Menschen in die kosmische Energie eingehen.“ Gott sei möglicherweise der Begriff für solche Zusammenhänge.

„Wir dürfen kein Gesetz bekommen, welches das kurative Handeln der Ärzte kriminalisiert, sagte der Geistliche Vizepräsident des Landeskirchenamtes, Arend de Vries, im Pressegespräch am Rande der Tagung. Die Diskussion über die umstrittenen Äußerungen des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider im Blick auf die Begleitung dessen krebskranker Ehefrau zeige die beiden Pole evangelischer Ethik: „Wir bemühen uns um ethische Grundsätze, aber letztlich ist jeder Mensch vor Gott selbst verantwortlich“, so der leitende Theologe.

„Tod und Sterben sind für die Pastorinnen und Pastoren durchweg Tagesthemen, auch durch eine zunehmende Zahl an Beerdigungen“, erklärte Rathing eine weitere Motivation zur Beschäftigung mit der Kunst des Sterbens. Dabei seien die christliche Auferstehungshoffnung und die Erwartung des ewigen Lebens heute vielfach kaum mehr bekannt. „Es kann immer weniger an etwas angeknüpft werden“, so Rathing. Zudem habe die aktuelle Diskussion über die Sterbehilfe zu einer Verunsicherung geführt, viele Geistliche seien auf der Suche nach ihrer Position in dem Konflikt. „Der Schritt in die Nähe eines betroffenen Menschen hilft mir am meisten bei der ethischen Urteilsbildung“, sagte der Regionalbischof.

In insgesamt elf Workshops diskutierten die Seelsorger auch über weitere Aspekte ihrer täglichen Arbeit, etwa „Sterben und Tod im Konfirmandenunterricht“ sowie in der Evangelischen Bildungsarbeit, und reflektierten ihr Handeln beispielsweise in der Trauerbegleitung oder in der Predigt. Ein Vorgehen, das Wilhelm Schmid ausdrücklich begrüßte: „Reden hilft, Schweigen nicht.“

Der Generalkonvent ist die jährliche Versammlung der Geistlichen eines Kirchensprengels. Zur Region Lüneburg gehören rund 380 Pastorinnen und Pastoren in elf Kirchenkreisen im nordöstlichen Niedersachsen.

Hartmut Merten