Größte deutsche Landeskirche gibt sich neue Verfassung

Nachricht Hannover, 16. Mai 2019

Hannover (epd). Nach mehr als 50 Jahren hat sich die hannoversche Landeskirche eine neue, grundlegend überarbeitete Kirchenverfassung gegeben. Die Synode, das Kirchenparlament, beschloss am Donnerstag in Hannover einstimmig einen entsprechenden Text mit 87 Einzelartikeln. Er war zuvor mehr als drei Jahre lang in zahlreichen Gremien und Gruppen intensiv beraten worden. In Zukunft soll er die Grundlage für das kirchliche Leben bilden. "Das ist ein ganz besonderer Moment, das spüren wir hier alle", sagte Synoden-Präsident Matthias Kannengießer. Die Mitglieder des Kirchenparlaments spendeten stehend Applaus. Landesbischof Ralf Meister unterzeichnete die Verfassung als erster. Dann folgten alle anwesenden Synodalen und weitere Mitglieder der Kirchenleitung.

Die neue Verfassung soll zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. Sie löst die bisherige Kirchenverfassung aus dem Jahr 1965 ab, die aus Sicht der Synode nicht mehr die Kirche von heute abbildet. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers ist mit rund 2,5 Millionen Mitgliedern in 1.248 Gemeinden zwischen Hann. Münden und der Nordsee die größte evangelische Landeskirche in Deutschland.

Laut Kannengießer soll die neue Verfassung die Grundlagen der kirchlichen Arbeit besser an die Gegenwart anpassen und mehr Freiräume für die Zukunft zu eröffnen. Sie räumt unter anderem Jugendlichen mehr Beteiligungsmöglichkeiten in den Gremien ein. Kirchengemeinden erhalten mehr Möglichkeiten, sich als traditionelle Ortsgemeinde oder als themenorientierte "Personalgemeinde" zu organisieren. Strukturen sollen schlanker werden. So soll der Kirchensenat, ein "Runder Tisch" der kirchenleitenden Organe, künftig entfallen. Das Gremium stimmte seiner Auflösung zu.

Die neue Verfassung beschreibt außerdem deutlicher als bisher die theologischen Grundlagen der evangelischen Landeskirche und ihr Verhältnis zum demokratischen Staat. Der Text nimmt auch das Verhältnis zu anderen Konfessionen und Religionen in den Blick. Neu gefasst wurde der Artikel über die enge Verbindung der Kirche zum Judentum. Darin wird nun betont, die Landeskirche trete "jeder Form von Judenfeindlichkeit entgegen". Kannengießer unterstrich: "Das sind starke Signale, die in unserer Situation noch einmal wichtiger geworden sind."

Der Synoden-Präsident lobte die breite Beteiligung der kirchlichen Basis an den Beratungen zur Verfassungsreform. In mehr als 70 Veranstaltungen seien die Einzelartikel vorgestellt und beraten worden. Über 400 Stellungnahmen seien in den Text eingeflossen. Mehrere Tausend Nutzer hätten über die Internet-Plattform www.kirchenverfassung2020.de mit diskutiert. Die Verfassung sei "eine Zusammenfassung der besten Gedanken und Argumente aus unserer ganzen Kirche".

 

Reform nach mehr als 50 Jahren
Größte deutsche Landeskirche beschließt neue Verfassung
Von Michael Grau (epd)

Hannover (epd). Mehr Chancen für Jugendliche, schlankere Strukturen und mehr Dialog der Religionen: Mit einer rundum erneuerten Verfassung will die hannoversche Landeskirche in die nächsten Jahrzehnte gehen. Am Donnerstag wurde sie von der Landessynode in Hannover einstimmig beschlossen und umrahmt von Bläserklängen feierlich unterzeichnet. "Das ist ein ganz besonderer Moment, der gut vorbereitet wurde und über den wir uns sehr freuen", sagt Synoden-Präsident Matthias Kannengießer.

Drei Jahre lang hatte das Kirchenparlament von Deutschlands größter evangelischer Landeskirche an der neuen Verfassung gearbeitet. In 87 Einzelartikeln regelt sie künftig die Grundlagen des kirchlichen Lebens. Ab Januar 2020 wird sie die Richtschnur für 1.248 Gemeinden mit 2,5 Millionen Mitgliedern zwischen dem Landkreis Göttingen und der Nordsee sein. Der Jurist Kannengießer ist nach zahlreichen eingehenden Debatten durchaus stolz auf das Ergebnis: "Eine Verfassung schreibt man nicht in jeder Landessynode."

Die neue Verfassung ersetzt die alte aus dem Jahr 1965 - die wiederum ihre Vorgängerin aus dem Jahr 1922 abgelöst hatte. Nach mehr als 50 Jahren sei es Zeit für eine Revision gewesen, betont Kannengießer. Denn die bisherige Verfassung habe in vielen Punkten nicht mehr die Realität abgebildet. Zudem habe sie manches offen gelassen. "Damals gab es widerstreitende Interessen, die sich nicht ohne weiteres unter einen Hut bringen ließen. So ist man einigen schwierigen Punkten aus dem Weg gegangen und hat sich auf eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt." Die alte Verfassung habe aber auch 54 Jahre lang für Stabilität gesorgt.

Doch an vielen Punkten hat die Synode nun nachjustiert. Einer davon ist dem ehrenamtlichen Präsidenten besonders wichtig: "Es wird immer deutlicher, dass die Beteiligung junger Menschen in kirchlichen Strukturen verstärkt werden muss." Nur so könne die Kirche zukunftsfähig bleiben, und dazu wolle die neue Verfassung einen Beitrag leisten.

Auch die Vielfalt der Religionen war 1965 noch nicht so im Blick wie heute. Deshalb beschreibt die neue Verfassung das Verhältnis der Kirche zu anderen Konfessionen und Religionen viel deutlicher als bisher. "Die Kirche ist am Dialog der Religionen interessiert", sagt Kannengießer. Besonders betont wird dabei die Verbindung zum Judentum. Jeder Form von Judenfeindlichkeit erteilt die neue Verfassung eine klare Absage. Zudem ist dem Verhältnis der Kirche zum demokratischen Rechtsstaat ein eigener Artikel gewidmet.

Andere Passagen erneuern den inneren Aufbau der Landeskirche. So wird es künftig keinen Kirchensenat mehr geben - dies war bisher eine Art runder Tisch aller kirchenleitender Organe. Seine Abschaffung war bei der Reform besonders umstritten. Letztlich setzten sich dabei die Befürworter schlanker Strukturen durch. Auch Kannengießer ist der Meinung, dass andere Gremien die Funktionen des Kirchensenats mit übernehmen können.

Rechtlich gleichgestellt sind künftig die Ortsgemeinden und die sogenannten Personalgemeinden, die sich - je nach Neigung und Profil - unabhängig vom Wohnort organisieren. Kannengießer geht sogar noch einen Schritt weiter und regt das Nachdenken über Gemeinden an, die sich über das Internet zusammenfinden. Verglichen mit 1965 ist auch die mittlere Verwaltungsebene der Kirchenkreise inzwischen viel wichtiger geworden - die neue Verfassung trägt dem Rechnung.

Kannengießer, im Hauptberuf Richter, freut sich, dass das Werk mit 37 Seiten vergleichsweise knapp gehalten ist. "Das Grundgesetz ist ja auch erfrischend kurz, aber gewichtig im Inhalt. So soll es auch bei unserer Verfassung sein." Gewiss, im Kirchen-Alltag werde nicht jeder bei jeder Frage sofort zur Verfassung greifen, weiß der Jurist. "Aber sie ist ein Hilfsmittel für alles, was dann praktisch geschehen muss. Wir müssen sie nun mit Leben füllen."

Evangelischer Pressedienst